Die Premiere ist geglückt: Der Gute Rat für Rückverteilung war nicht nur eine gute Idee, sondern eine echte soziale Innovation, und er könnte als Aufwärmübung verstanden werden. Einerseits für die Verteilung weiterer und hoffentlich größerer Vermögen; andererseits für das, was die Erfinderin und Auftraggeberin, Pharma-Erbin Marlene Engelhorn, eigentlich anstrebt: strukturelle Veränderungen in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Wenn es eines Tages erst einmal Unter- und Obergrenzen für Einkommen und Vermögen gibt, erübrigen sich spontane und individuelle Rückverteilungsaktionen dieser Art.

Die Zeit für klare Grenzen ist reif: Laut der NGO Oxfam ist das Vermögen der 2755 globalen Milliardärinnen und Milliardäre von Pandemiebeginn bis 2022 von 8,6 auf 13,8 Billionen US-Dollar gewachsen – ein größerer Anstieg als in den vierzehn Jahren davor. Gleichzeitig sind 163 Millionen Menschen unter die von der Weltbank gezogene Armutsgrenze von 5,50 US-Dollar pro Tag gerutscht. Philanthrokapitalismus wird weder den Hunger aus der Welt schaffen noch die extreme Armut. Exzessive Ungleichheit verursacht die Verschlechterung aller Sozial- und Public-Health-Indikatoren, von Drogenmissbrauch und psychischen Problemen über Kriminalität bis hin zu Vertrauensverlust in andere Menschen und dem Absinken der Lebenserwartung. Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak sieht aufgrund dieser starken Korrelationen das In-Grenzen-Halten der Ungleichheit zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit geboten.
"Ein Bürgerinnen-und-Bürger-Rat zur Findung der Obergrenze wäre die logische Nachfolgeinstitution zum Guten Rat."
Ungleichheit gefährdet aber auch die Demokratie. Laut dem jährlich erscheinenden Bericht des Varieties-of-Democracy-Instituts der Universität Göteborg sind der Welt seit dem "Peak" 2009 beachtliche zwölf von 44 liberalen Demokratien verlustig gegangen. Der globale Megatrend der Demokratisierung bis zur Finanzkrise hat sich gedreht in Autokratisierung. Anders als Vordenker wie Francis Fukuyama (Das Ende der Geschichte) annahmen, erweist sich der entfesselte Kapitalismus nicht als Zwillingsbruder der Demokratie, sondern als ihr Totengräber. Wer die Demokratie retten will, sollte also die Ungleichheit begrenzen.
Nach den Vorarbeiten von Anthony Atkinson (Economics of Inequality), Thomas Piketty (Kapital im 21. Jahrhundert) oder Martin Schürz (Überreichtum) macht die Niederländerin Ingrid Robeyns kürzlich in Limitarianism einen konkreten Vorschlag: Zehn Millionen Euro könnten die Obergrenze für Einkommen, Vermögen und Erbschaften sein. Eine Alternative wären 30 Millionen US-Dollar, die Schwelle zum "Ultra High Net Worth Individual". Ein Bürgerinnen- und Bürgerrat zur Findung der Obergrenze wäre die logische Nachfolgeinstitution zum Guten Rat. Das Verfahren des systemischen Konsensierens – es können mehrere Vorschläge eingebracht werden, es gewinnt derjenige, der den geringsten Summenwiderstand hervorruft – ermöglicht empathische Lösungen.
Demokratie vertiefen
Die Menschen lehnen die Extreme "völlige Gleichheit" und "grenzenlose Ungleichheit" gleichermaßen ab. Das "Optimum" liegt in der vernünftigen Mitte. Am häufigsten gewinnt bei Probeabstimmungen eines zufällig zusammengewürfelten Publikums (im Zuge von Vorträgen in bisher 30 Staaten) der maximale Ungleichheitsfaktor zehn bei Einkommen. Das bedeutet, dass die höchsten Einkommen das Zehnfache des Mindesteinkommens – das für ein "gutes Überleben" reicht – nicht übersteigen dürfen. Eine solche Grenze würde auch die Bildung von Riesenvermögen verunmöglichen. Neu wäre diese Grenze nicht: In der Gründungsurkunde der Carl-Zeiss-Stiftung zu Jena von 1891 ist festgehalten, dass die höchsten Gehälter das Zehnfache der Durchschnittseinkommen nicht übersteigen dürfen. Nicht alle werden glücklich sein mit dem Faktor zehn, zwölf oder 20. Aber es gibt in jedem Land einen Faktor, der das Summenunglück aller minimiert – und das Gemeinwohl optimiert.
Die Bürgerinnen-und-Bürger-Räte kommen aus Irland. Sie bereiten verbindliche Abstimmungen für Probleme vor, welche die Gesellschaft spalten und die Regierung nicht antasten möchte. Mithilfe runder Tische, repräsentativ besetzt und multiperspektivisch moderiert, wurden "runde" Lösungen erarbeitet, die in Volksabstimmungen angenommen wurden. Die Achillesferse des davon inspirierten Klimaschutzbürgerrates in Österreich war seine Unverbindlichkeit. In der Zukunft sollte der Bürgerinnen-und-Bürger-Rat als ein Souveränsrecht in der Verfassung verankert sein und von der Bevölkerung selbst initiiert werden können – oberhalb einer definierten Schwelle von Unterstützerinnen und Unterstützern. Solche Räte verbessern das Gesprächsklima, sie stärken den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Demokratie – genau das, was es in Zeiten der Polykrise braucht. (Christian Felber, 11.7.2024)